Die Wiederentdeckung des Scientific Management – Die Entwicklung vom Industrial Engineering zur Industrial Data Science

Industrial Engineering verändert sich

lndustrial Engineering (IE) ist durch seine Rolle als Konstruktions-, Planungs- und Organisationsinstanz der industriellen Produktion seit Jahrzehnten entscheidend für den Erfolg produzierender Unternehmen. Die im Zuge von Industrie 4.0 zu erwartenden Potenzialen durch den Einsatz von Data-Analytic-Tools und -Methoden erfordern eine Kopplung an etablierte Methoden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, das traditionelle Berufsbild des IE um neue Werkzeuge aus dem Bereich der Data Analytics, nämlich lndustrial Data Science (IDS), zu erweitern. Ausgehend von den historischen Pionieren des IE ist klar, dass die Grundprinzipien wertvoll bleiben werden. Eine Weiterentwicklung im Hinblick auf die datenanalytischen Möglichkeiten ist jedoch bereits im Gange. Dieser Beitrag des Instituts für Produktionssysteme der TU Dortmund gibt einen Überblick über die Ursprünge des IE anhand von vier Pionieren, stellt eine Verbindung zur heutigen Nutzung her und betrachtet Möglichkeiten für zukünftige Anwendungen von IDS.

Grundlagen

Die Wurzeln der IE gehen auf Frederick W. Taylor zurück, der mit seinem Hauptwerk Principles of Scientific Management die Entwicklung der industriellen Fertigung entscheidend geprägt hat (Taylor, 1911). Der Begriff IE umfasst alle Aufgaben, die sich mit dem Entwurf, der Verbesserung und der Installation integrierter Systeme aus Menschen, Materialien, Informationen, Geräten und Energie befassen. Er stützt sich auf spezialisierte Kenntnisse und Fähigkeiten in den mathematischen, physikalischen und sozialen Wissenschaften zusammen mit den Grundsätzen und Methoden der technischen Analyse und des Entwurfs, um die von solchen Systemen zu erzielenden Ergebnisse zu spezifizieren, vorherzusagen und zu bewerten, so die Definition des Institute of Industrial and Systems Engineers (IISE, 2021).

Der Bereich der Datenanalyse hat in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. IDS bezieht sich auf die Nutzung von Data Analytics in industriellen Anwendungen (Mazarov et al., 2019). Die Anwendung dieser Methoden und Verfahren im heutigen industriellen Umfeld ist sowohl effektiv als auch unumgänglich. Dies ist auf die gestiegene Komplexität bei der Entscheidungsfindung zurückzuführen, da in heutigen Systemen mehr Variablen berücksichtigt werden müssen. IE und IDS beinhalten eng verwandte Aufgaben für eine faktenbasierte Entscheidungsfindung. Mit der Prozesskette des Zeitmanagements werden alle Aktivitäten zur faktenbasierten Entscheidungsfindung in Teilaufgaben zerlegt und nacheinander abgearbeitet. Dies hat zur Entwicklung der Prozesskette der Datenanalyse geführt, die einen ähnlichen Ansatz verfolgt. In vier Stufen werden die Aufgaben der Datenerhebung, -analyse, -nutzung und -verwaltung durchgeführt (Abbildung 1).

Abbildung 1: Prozesskette der industriellen Datenanalyse

Pionier-Fallstudien

Zu diesen vier Pionier-Fallstudien gehören die Time and Motion Study von Frank und Lillian Gilbreth, die Group Technology von John Burbidge, das Qualitätsmanagement von William E. Deming und die Production Control von Eliyahu M. Goldratt.

Die vier Fallstudien werden strukturiert aufgeführt. Dabei werden die grundlegenden Ausführungen der jeweiligen Pioniere in dem Abschnitt „Vergangenheit“ aufgeführt. In dem Abschnitt „Gegenwart“ werden die aktuellen Vorgehensweisen und Technologien in diesem Bereich untersucht und aufgeführt. Im letzten Abschnitt „Zukunft“ werden Trends aufgeführt und dargestellt, welche im Kern auf den grundlegenden Ausführungen der Pioniere basieren. Diese aktuellen Forschungsthematiken umfassen die Verbindung zukunftsträchtiger Methoden und Werkzeuge, wie dem Maschinellen Lernen, mit den Prinzipien aus der Vergangenheit unter Bezug auf die aktuellen Vorgehensweisen und Technologien.

Als beispielhafte Transferierung grundlegender Überlegungen in einen zukünftigen Forschungstrend ist die Entwicklung der Engpassanalyse zu nennen, welche sich in Abbildung 2 überblicken lässt (West et al. (2022)).

Abbildung 2: Methodik für die Engpassanalyse mit entsprechender Forschung auf der Grundlage von West et al. (2022)

Diskussion

Die Entwicklung der einzelnen Bereiche des IE zeigt von Anfang an die starke Verbindung zur Datenanalyse. Die genannten Pioniere Gilbreth, Burbidge, Deming und Goldratt bewiesen die Abhängigkeit der Optimierung und Verbesserung von der Datenanalyse. Heutige Lösungen belegen die Relevanz dieses Ansatzes gleichermaßen. IDS ist daher der logische Evolutionsschritt der Arbeit mit Daten im IE. Viele Fertigungsunternehmen stehen parallel dazu vor viel komplexeren und komplizierteren Problemen. Für diese Unternehmen sehen wir IDS als ein neuartiges Werkzeug, das es ihnen ermöglicht, die ursprünglichen Ideen der vier Pioniere effizienter, großflächiger und zielgerichteter zu nutzen. In diesem Zusammenhang sind verschiedene Bereiche des IE zu unterscheiden. Jedes Unternehmen nutzt die Ideen von Gilbreth, Burbidge und Deming, in vielen Produktionen sind sie sogar die Grundlage für Optimierungen und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess in verschiedenen Branchen. Die Methoden der IDS erweitern die bisherigen Verfahren und bringen sie auf die nächste Stufe ihrer Entwicklung. Bilderkennung ermöglicht schnelle, genaue Zeiterfassungen, Maschinelles Lernen ermöglicht die automatische Erstellung von Arbeitsplänen von Produkten der gleichen Gruppe und Produkt- und Prozessqualität kann dynamisch in Echtzeit erkannt, vorhergesagt und damit vorausschauend verbessert werden.

Fazit und Ausblick

Die Fallstudien der Pioniere des IE haben die Entwicklung des Scientific Management in vier verschiedenen Bereichen als einen eher evolutionären Prozess gezeigt. Der heutige Trend zu einer breiteren Anwendung von IDS ist ein unvermeidliches Ergebnis eines jahrzehntelangen Entwicklungsprozesses. Die Nutzung der wachsenden Datenquellen ist lediglich der nächste logische Schritt in einem Umfeld, das auf faktenbasierte und quantifizierte Entscheidungen angewiesen ist. Daher wird die Anwendung von Data Science im IE unter dem Dach von IDS in den kommenden Jahrzehnten weiter an Bedeutung gewinnen. Im Kern werden produzierende Unternehmen weiterhin die ursprünglichen Konzepte der diskutierten Pioniere nutzen, aber die Effektivität durch die Hinzunahme digitaler und datengesteuerter Methoden und Werkzeuge erhöhen, auch in anderen Bereichen des IE. Der Zugang, die Analyse, die Anwendung und die Verwaltung von Daten werden für zukünftige Anwendungen von IDS entscheidend sein. Die in diesem Beitrag vorgestellten Pioniere und die mit ihnen verbundenen Forschungsbereiche wurden vor allem aufgrund ihrer hohen Relevanz für die IE ausgewählt. Dennoch muss man diese Vertreter als eine Auswahl von Pionier:innen bezeichnen. In der kontinuierlichen Entwicklung des Scientific Management seit Taylor haben sich viele Wissenschaftler:innen mit Referenzen hervorgetan. Als Forschungseinschränkungen möchten wir daher die geringe Anzahl der untersuchten Pionier:innen und die Auswahl der Anwendungsbeispiele hervorheben. Für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit muss die Sammlung der anwendbaren Methoden und Werkzeuge von Wirtschaftsingenieur:innen um die Möglichkeiten des IDS erweitert werden. Gleichzeitig müssen die Unternehmen die technischen und pädagogischen Grundlagen für die Anwendung von IDS schaffen, um sich am Markt behaupten zu können. Darüber hinaus wird die Vielzahl der Anforderungen an eine integrierte und vernetzte Anwendung der industriellen Datenanalyse in dynamischen Wertschöpfungsnetzwerken den weiteren Verlauf der IDS-Forschung prägen.

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